Den Ankünften nicht glauben
wahr sind die Abschiede
Ilse Aichinger
Über die Kuppe an der Mailheimer Steige.
Ein unscheinbares Schild: „G.W.-Steller-Gymnasium“.
Behutsam holpernd durchs sommersonnige Wohngebiet.
Lautes Lachen im Sekretariat und ein Schulleiter ohne Schuhe.
Wenn ich an den 2. August 2004 denke, kommen mir Eindrücke meiner ersten Ankunft am Georg-Wilhelm-Steller-Gymnasium Bad Windsheim in den Sinn. Und die Erinnerung an ein gutes Gefühl.
Jener erste Sommerferienmontag im August 2004 liegt nun beinahe 17 Jahre zurück. Damals war ich 30 Jahre alt, unverheiratet, kinderlos und ganz sicher, dass das vor mir liegende Referendariats-Halbjahr in Bad Windsheim nur eine kurze Zwischenstation meines (Lehrer-)Lebens sein würde.
Aber es kam ganz anders. Nach einem halben Jahr an der Bamberger Seminarschule kehrte ich im September 2005 zurück ans GWSG und blieb.
Neben einem kleinen Haus in der Fürther Friedlandstraße ist das Steller-Gymnasium in den vergangenen sechzehneinhalb Jahren mein Lebensmittelpunkt gewesen. Vor allem, weil ich hier immer wieder Menschen getroffen habe, mit denen ich Tag für Tag gerne in die Schule gegangen bin. Ihr seid es, um die es immer ging.
Denn neben individuellen Entwicklungsmöglichkeiten prägt die soziale Gemeinschaft nicht nur mein persönliches Leben. Meinem Verständnis nach definiert das Zusammenspiel beider Aspekte auch den Wesenskern von Schule in einer pluralen Gesellschaft. In dieser Richtung habe ich meine Vorstellungen vom Leben und Arbeiten im Friedensweg nicht nur theoretisch herausgebildet, ich konnte sie auch in der Praxis ausprobieren. Vor allen anderen die Idee, dass Vertrauen und Respekt unabdingbare Grundprinzipien schulischen Miteinanders sind, weil Bewertungen, Noten oder Kritik dann keine emotionalen Wunden schlagen, sondern konstruktive Veränderungsimpulse geben und weil in einer solchen Atmosphäre verschiedene Interessen sowie Perspektiven den Schulalltag bereichern, anstatt abgrenzendes Unverständnis hervorzurufen. Darüber hinaus habe ich am GWSG erkannt, dass ein omnipräsentes Regelsystem wie das einer Schule nicht zwingend restriktiv einengen muss. Es kann auch Freiräume schaffen, wenn seine Notwendigkeit von den meisten schulischen Akteuren als sinnvolles Ordnungsprinzip akzeptiert wird und die Regelungen sowohl überprüfbar als auch veränderbar sind.
Doch trotz aller Dankbarkeit für die vielfältigen Entfaltungsmöglichkeiten, trotz meines beständigen Wohlfühlens und trotz der großen Verbundenheit verlasse ich das Georg-Wilhelm-Steller-Gymnasium am 31. Juli 2021 auf eigenen Wunsch. Unter Berufung auf Wolfgang Bächlers „Erwartung“ bin ich nun bereit zum Aufbruch, denn „in der Abendbrise/beginnt die Fahrt/auch für mich“. Und obwohl ich hinsichtlich meines Schulwechsels durchaus Beklommenheit fühle, freue ich mich doch sehr auf eine neue Aufgabe, auf ein neues soziales Umfeld.
In diesen Tagen, in denen sich meine Bad Windsheimer Zeit unweigerlich dem Ende zuneigt, denke ich viel nach über Vergangenes und über Zukünftiges. So will es beispielsweise der Zufall, dass der 2. August auch im Jahr 2021 auf den ersten Montag der Sommerferien fällt, wenn mit meinem Dienstantritt am Herder-Gymnasium Forchheim eine neue erste Ankunft, ein neuer Anfang auf mich warten. Das Leben am Steller-Gymnasium wird dann bereits Geschichte sein für mich. Vergangen. Nicht vorüber.Vollkommen unbenommen davon sind aber meine positiven Gedanken an das GWSG als Ganzes und meine freundschaftlichen Gefühle gegenüber Menschen, denen ich hier seit 2004 begegnet bin. Mit einigen habe ich all die Jahre verbracht, andere in kürzeren Zeitspannen kennengelernt und begleitet. Aber viel wichtiger als die zeitliche Dauer sind die menschliche Nähe und die Aufrichtigkeit mancher dieser Verbindungen. Sie bleiben.
Immer wieder aber schweifen meine Gedanken zurück zum Ausgangspunkt am 2. August 2004. Ich erinnere mich an Menschen, Begebenheiten, Entwicklungen und mir wird bewusst, dass die unverwechselbare Mischung aus westmittelfränkischem Beharrungsvermögen und Windsheimer Innovationsfreude offensichtlich zeitraffende Wirkung entfaltet hat…
An der Mailheimer Steige beginnt der Flug.
Das Schild weist stoisch die Richtung.
Sanft schaukelt der Friedensweg und im Sekretariat wird beizeiten gelacht.
Nur der Schulleiter trägt inzwischen durchgehend Schuhe.
Und als völlig falsch erwiesen hat sich die Sache mit dem guten Gefühl.
Es wurde viel besser.
Bruno Kuntke